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Graupner Caravelle

Heute präsentieren wir zum allerersten Mal Fotos aus dem Graupner Familienarchiv. Wir bedanken uns bei der Familie Graupner, uns bei unseren zukünftigen Recherchen der Geschichte des Flugmodellsports zu unterstützen.  Als allererstes veröffentlichen wir einen Test des Autors Dieter Heck`s zur legendären Graupner Caravelle.

Report, 1967. Im Herbst 1962 erhielt Dieter Heck einen Anruf von der Firma Graupner, wir sollten ‚mal rasch auf eine Wiese bei Kirchheim (Teck) kommen, dort könnten wir was ganz Besonderes sehen. Als wir hinkamen, sahen wir dann zunächst den Gustav Sämann in schwarzer Seidenbluse, anzusehen aus der Ferne wie frühers Giacomo Casanova, nebst einigen anderen Herrn, die alle angestrengt in die Luft starrten.

Dort musste sich also ein R/C-Kahn bewegen. Wir starrten ebenfalls: der Kahn drehte Loopings und Rollen, Immelmänner und Kubanische Achter, wie das ebenso ist, wenn auf dem Boden Sämann und ein Mehrkanalmodell in der Luft ist.

Mit seiner Angst ist jeder allein …

Und dann passierte es, dass es mir in die Knochen fuhr: nein, nicht das, was Sie denken!

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Sondern Sämann drückte mir plötzlich den Sender in die Hand und sagte „Na, und nun fliegen Sie mal!“ und trat dann noch drei Schritte zurück, so dass mir gar nichts anderes übrigblieb, als den Kasten festzuhalten.

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Als vorsichtiger Mensch, zu dem mich meine Mutter erzog, tat ich zunächst das, was nach dem preußischen Offizierskodex unehrenhaft, aber in einer unübersehbaren, gefahrvollen Situation noch immer das Vernünftigste ist: nämlich gar nichts. Und das Modell flog weiter! Nach dem, was ich bis dahin von rasanten Mehrkanalmodellen wusste, fand ich das immerhin schon erstaunlich.

Ich atmete wieder etwas freier.

„Und jetzt fliegen Sie ‚mal eine Kurve!“ Ich starrte auf den Sender, der mir plötzlich unheimlich kompliziert vorkam mit seinen zwei Knüppeln, von denen man jeden in 4 verschiedene Stellungen bringen kann und somit insgesamt 16 verschiedene Möglichkeiten hat, wovon meist 15 falsch sind.

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Gustav Sämann bei seinem 80igsten Geburtstag
„Da mit dem Daumen rechts drauf, Querruder, so … aber aufs Modell sehen … jetzt langt’s“.

Der Teufelskahn hing bereits steil in der Kurve, drehte rund weiter, legte sich immer flacher und kam hübsch langsam wieder raus. „Sehen Sie, da kann man nun durch ganz leichte Tipps korrigieren, wenn man weiter rum will.“

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Testflug
„Aha!“, Ich probierte.

„Und jetzt das gleiche links!“ Es klappte, es gab eine ganz brave Kurve, es passierte überhaupt nichts Interessantes, und das war das Interessanteste.

„So, und jetzt fliegen Sie einen Looping!“ befahl Sämann.

„Wie?“ fragte ich sehr dumm.

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(Foto aus Familie Graupner Kollektion)

„Indem Sie eben das Höhenruder ziehen!“ meinte Sämann. Ich zog dasselbe, und tatsächlich ging der Vogel dann. Er blieb oben nicht hängen, er fiel nicht raus, er kam schön wieder runter, ganz genau wie auf dem Riesenrad in der Achterbahn. Die Sache war sehr erstaunlich.

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(Foto aus Familie Graupner Kollektion)

Nun schön, wenn man mal so weit ist, gehört auch nicht mehr besonders viel Schneid dazu, das Querruder z. B. mal so lange zu drücken, bis der Vogel ganz herumgedreht hat, was man eine Rolle nennt. Eine schöne war’s nicht, aber immerhin, es war eine Rolle von Heck. Aber glauben Sie nur nicht, ich sei stolz darauf gewesen, mir war immer noch mulmig zumute! Ich ärgere mich nämlich scheußlich über eigene Modelle, die ich herunterwerfe, und ich weiß nicht, wie ich empfinden würde, wenn ich Modelle von anderen kaputtwerfe. Das habe ich nämlich noch nicht probiert. Jedenfalls ging die Sache noch einige Minuten so weiter. Ich hatte mich bereits daran gewöhnt, dass das Ding fliegt.

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(Foto aus Familie Graupner Kollektion)

„Aber landen tun Sie!“ sagte ich schließlich. Da war Gustav so gnädig und nahm den Tonfrequenzkasten wieder und kündigte an: „Jetzt werden Sie was ganz Besonderes hören“. Schon wieder ..

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Graupner hatte nämlich bei diesem Versuch seine fahrbare Modellklinik auf der Wiese, in der ein Abhörempfänger mit einem Lautsprecher ist, sodass man die gesendeten Tonsignale hören kann. Wir hatten uns schon daran gewöhnt, welche Töne welches Ruder bedeuten. Sämann machte einen hübschen Landeanflug und setzte an gegen den Wind, aber viel zu hoch — „Der kommt nie rein!“ sagte ich, denn aus der Erfahrung anderer glaubte ich doch, das beurteilen zu können. Aber Sämann drosselte, wartete einige Sekunden und dann zog er das Höhenruder. Tüüüüüt machte es — und hörte nicht mehr auf. Jetzt kommt’s! dachte ich, wenn er noch drei Sekunden so weiter macht.

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Vorgänger der Caravelle. Das Flugzeug hat das typische Feuervogel Seitenleitwerk.
… auch wenn sie dumm ist

Aber wieder kam`s nicht. Der Vogel hielt sich mit gezogenem Höhenruder bei gedrosseltem Motor völlig gesund in der Luft, hängte sich etwas müde an die Flächen in einer Art verschämten Sackflug —und blieb steuerbar! Auf Seitenruder und Querruder reagierte er nach wie vor und ließ sich in einem steilen, aber langsamen Landeanflug hereinholen.

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Der eiserne Gustav tütete auf das Höhenruder — die Steuersignale wurden dazu simultan gegeben — bis wenige Meter über dem Boden, stellte dann alles ab, und ließ die Kiste übers Gras hopfen. Das war also Hecks erster und bisher einziger sogenannter „Kunstflug“ gewesen, und jeder, der etwas vom Modellkunstflug versteht, wird zugeben, dass es immerhin etwas ungewöhnlich war.

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(Foto aus Familie Graupner Kollektion)

Geflogen wurde an diesem Tage noch, bis dem hochverehrten Publikum die Füße und die Finger kalt wurden. Sämann ließ den Vogel mit 1,8 m Spannweite und einem 8,1 ccm Motor zum Start einfach kurz abgefressene Gras der Schafsweide loshoppeln. Dass der Vogel kerzengerade wegging, wäre zu viel gesagt, aber er machte auch nicht das geringste Zeichen eines Ringelpitz, hob nach zwanzig Meter-ab, und Gustav zog ihn dann steilem Winkel hoch. Wie üblich sind die Startaufnahmen nicht viel geworden, und ein Modell in der Luft ist ohnehin nichts zum Aufnehmen.

Auf Wunsch flog Sämann einige dichte Landeanflüge u.a. auch im Rückenflug, dabei war der Apparat, wie übrigens alle modernen Mehrkanalmodelle so schnell, dass man die Kamera mitreißen muss wie bei einem Motorradrennen. Man schätzte 100 Sachen, genau weiß das aber niemand, denn gestoppt wurde es nicht. Es ist auch nicht wichtig, denn der Vogel zog sehr steif durch alle Figuren, reagierte kaum auf verschiedenartige Fluggeschwindigkeiten und das ist ja die Hauptsache.

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Hans Graupner mit seinen Mitarbeitern (Foto aus Familie Graupner Kollektion)
Der Probenarr

Natürlich hatten die Graupnerianer etwas ganz Spezielles im Sinn, als sie uns eingeladen hatten. Sie wollten, um es mal offen ..Nichtexperten von Beruf“ handgreiflich zeigen, dass diese Maschine, die sich „CARAVELLE“ , tatsächlich narrensicher zu fliegen ist, relativ narren-sicher. Und dazu wählten sie mit sicherem Griff mich!

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Wenn hier jetzt steht, dass sie von denjenigen Mehrkanalmodellen, die uns bis jetzt über die Nase geflogen sind, tatsächlich am allereinfachsten und unkritischsten zu steuern ist, so ist dies eine Feststellung von uns und nicht von Graupner.

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Das Modell ist Graupners sogenannter „Schlager“ für die diesjährige Nürnberger Spielwarenmesse. Das interessiert uns recht wenig. Nachdem aber, was wir gesehen haben, ist es auch ein Schlager für den RC-Flug und wird ganz bestimmt dazu beitragen, noch mehr Leute mit dem rasanten Fliegen vertraut zu machen. Wenn wir seit 1960, als die Amerikaner in Zürich den ersten raschen Tiefdecker zeigten, ständig geschrieben haben, dass der Mehrkanalflug in erster Linie eine Sache des Könnens sei und dass man vorsichtig an ihn herangehen müsse, so stimmt das nach allen seither gemachten Erfahrungen.

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Aber die Erfahrungen der Modellflugkonstrukteure wurden dazu genutzt, die Konstruktionen allmählich zu entschärfen; und die Zeit ist offensichtlich auch vorbei, in der das Mehrkanalmodell grundsätzlich eben als eine äußerst kapriziöse Dame betrachtet werden musste, die ein sehr labiles Seelenleben hat und dementsprechend sorgfältigster Handhabung bedarf.

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Sämann hat sich bereits mit dem „Feuervogel“ im Vertrieb von Webra, Berlin, bemüht, ein Zwischenglied, einen Trainer für den Mehrkanalflug zu schaffen. Nach dem, was man heute weiß, war er wahrscheinlich zu klein (der Feuervogel, nicht der Sämann).

Trotzdem war er ein notwendiges Glied innerhalb der Gesamtentwicklung Der „ZEUS“, ein Mehrkanaltrainer im Vertrieb von Robbe, der jetzt ebenfalls als Neuheit herauskam und von Heese entwickelt wurde, gehört auch in die Kategorie der Gezähmten, die aber dennoch für den allerschärfsten Einsatz getrimmt werden können.

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Dass die letztere Feststellung zutrifft, zumindest hinsichtlich der Caravelle, ist insofern schon bewiesen, als dieses Modell im eigentlichen Sinn gar nicht „neu“ ist. Es wurde bereits in vielen Modellbauzeitschriften der ganzen Welt, darunter natürlich auch in „Modell“, abgebildet, denn es ist nichts anderes als die Maschine, mit der Sämann auf der Weltmeisterschaft 1962 in Kenley geflogen ist und damit den 8. Platz belegt hat.

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Dieser 8. Platz lag aber — und das sei für diejenigen gesagt, welche Platzierungen bei solchen Wettbewerben allzu hoch einzuschätzen geneigt sind —, nachweislich nicht am Modell, denn unser Mitarbeiter Ginn schrieb damals: „Es war ein Genuss, Gustav’s schlankes, flüssig fliegendes Modell zu beobachten. Er hatte alle Chancen, für seine Enttäuschung beim ersten Flug belohnt zu werden; aber jetzt, zum vierten mal bei sechs Flügen, ruinierte ein sterbendes Triebwerk die Chancen …

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„Das Modell“ wurde gegenüber dem Weitmeisterschaftsmodell nicht geändert. Es blieb alles aerodynamisch so, wie es damals schon war. Lediglich in Details des praktischen Aufbaus wurden für den Baukasten aus der Aufbauerfahrung heraus „innere“ Konstruktionsänderungen vorgenommen, um den Aufbau zu vereinfachen und auch um Umtrimmungen von einem sehr zahmen zwei- bzw. dreikanalgesteuerten Trainer bis zum rasanten achtkanaligen Kunstflugakrobaten zu ermöglichen.

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Der Apparat ist ein Hoch- bzw. Schulterdecker mit ungeteilten 180 cm spannenden Flächen, einem stabilen Kastenrumpf, der gar nicht besonders „rasant“ aussieht, und einem hohen Dreibeinfahrwerk. Im Kenley flog Gustav fast ohne V-Form; beim Baukastenmodell kann man die V-Form je nach gewünschter Kunstflugeigenschaft, das heißt nach Können, wählen.

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Die Sicherheit in den Flügelspitzen

Die besonderen Flugeigenschaften, die wir schilderten, haben natürlich ihre konstruktive Ursache. Sie liegen in erster Linie in einer ausgesuchten Seitenflächenverteilung und in der Profilauswahl. In Modellflugkreisen ist Gustav Sämann in früheren Jahren als Wakefield-Spezialist bekannt geworden, er war auch Weltmeister in dieser Klasse. Seit Jahren aber beschäftigt er sich mit Mehrkanalmotor-modellen und er hat dies ebenso gründlich getan wie früher bei Modellen mit Gummiseele.

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Bei der letzten Ausfeilung einer Konstruktion spielen natürlich auch viele Dinge, die mit dem Einfühlungsvermögen und der praktischen Erfahrung zusammenhängen, eine Rolle, die man nicht direkt in eine Formel fassen kann. Dennoch ist Sämann, besonders bei der Flächenkonstruktion, ganz bewusst einen bestimmten Weg gegangen, und zwar den der aerodynamischen Schränkung, und es lässt sich sehr genau sagen, woher die besonderen Flugeigenschaften kommen.

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Was eine Schränkung ist, dürfte nicht unbekannt sein: eine geschränkte Tragfläche ist in sich verwunden; die Profilsehne hat an der Wurzel einen anderen Winkel zur Längsachse bzw. Anström-richtung als an den Flügelspitzen und zwar so, dass die Fläche innen steiler angestellt ist als außen. Dies führt dazu, dass die Fläche besonders günstige Abreiß-erscheinungen aufweist. Die Strömung reißt an einem bestimmten Profil umso bälder ab, je größer der Anstellwinkel ist.

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Bei einer in sich geschränkten Fläche reißt deshalb die Strömung zuerst innen ab, während sie an den Flügelenden mit ihrer geringeren Anstellung noch weiter anliegt. Es kommt daher überhaupt nicht zu einem kompletten Abreißen, was dazu führt, dass der Flugapparat nicht dazu neigt, direkt abzuschmieren: wenn er überzieht, so fällt von einer bestimmten unteren Geschwindigkeit an ein Teil der Tragfläche aus, der Auftrieb geht zurück und die Schnauze nach abwärts. Statt mit einem harten „Knick“ überzieht der Vogel sanft und flach und nimmt wieder Fahrt auf.

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Das ist aber gar nicht das Allerwichtigste dabei. Sehr viel interessanter ist, dass der Auftrieb an den Flächenenden, der ja an einem langen Hebelarm über die ganze Tragflächenhälfte angreift, nicht ausfällt und deshalb bei dem „sanften Abreißen“ bei der Tragflächenwurzel die Querstabilität zum größten Teil erhalten bleibt. Die Maschine schmiert deshalb nicht ab. Siehe Caravelle! Oben in den Loopings wird natürlich auch die Caravelle langsamer, aber sie fällt nicht seitlich heraus, selbst wenn sie von einem Kerl wie dem Heck gesteuert wird, eben weil die äußeren Teile der Fläche selbst im eigentlich „überzogenen“ Zustand Auftrieb haben (am oberen Punkt des Innenloopings müsste es natürlich Abtrieb heißen) und die Seitenstabilität gewahrt bleibt.

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Eine seit dem ersten Weltkrieg bekannte Form der Tragflächenschränkung ist z. B. der Zenonia-Flügel, der nach dem Zenonia-Samen benannt ist, der eine „Tragfläche“ besitzt, mit der er, wenn er vom Baum fällt, weite Strecken zurücklegen kann. Beim Zenonia-Flügel ist am Flügelende der hintere Teil hochgezogen, was zu äußerst gutmütigen Flugeigenschaften führt. Allerdings bringt die hochgezogene Hinterkante einen höheren Luftwiderstand.

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Eine „Schränkung“ ohne Verdrehung in der Tragfläche und praktisch ohne erhöhten Luftwiderstand ist die sogenannte aerodynamische Schränkung. Der Witz dabei ist, dass die Fläche der Wurzel zu ein Profil mit höherem Auftriebsbeiwert als an den Tragflächenenden hat, also innen z. B. ein Clark-Y-Profil, das in ein symmetrisches Profil am Flächenende übergeht. Das Clark-Y hat noch „harte“ Abreißeigenschaften, d. h., bei einem bestimmten Anstellwinkel, etwa 12-15°, reißt die Strömung an der Oberseite plötzlich komplett ab und der Auftrieb fällt in den Keller. Bei einem symmetrischen Profil ist das aber anders; wird der Einstellwinkel zu groß, so geht sein Auftrieb auch zurück, aber nicht schlagartig, sondern sanft und langsam. Eine Fläche, die an der Wurzel ein Clark-Y und an den Flächenenden ein symmetrisches Profil hat, zeigt also praktisch die gleichen Eigenschaften wie eine geschränkte Fläche: die Strömung reißt zuerst an der Innenseite ab, während sie an den Flächenenden noch lange anliegt und die Maschine stabil hält.

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Es ist, wie gesagt, wichtig, dass gerade an den Flügelspitzen der Auftrieb nicht ausbleibt, weil von dort über den langen Hebelarm schon kleine Änderungen des Auftriebswertes relativ große Bewegungen um die Längsachse verursachen würden, während Auftriebsänderungen der Flächenwurzel zu ja schon viel näher dem Schwerpunkt wirksam -verden und deshalb kein großes Drehmoment erzeugen können, selbst wenn dort die Strömung ungleichmäßig abreißt, d. h, an der einen Seite weiter als auf der anderen. Kritische Fluglagen, die zum Abschmieren oder Ausbrechen führen würden, treten bei solch einer Auslegung nicht bzw. nicht mehr plötzlich auf. Die Flügelspitzen werden „festgehalten“.

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Dies ist übrigens auch der Grund, warum Nurflügler, die eine durchgehende Schränkung besitzen, besonders querstabil liegen, wobei bei diesen allerdings auch die stabilisierende Wirkung einer starken Pfeilform mitwirkt. Eine aerodynamische Schränkung, ein gleichmäßiger Übergang der Profilform von Rippe zu Rippe, ist aber auch mit weniger bautechnischen Schwierigkeiten herzustellen als eine „verwundene“ Fläche, besonders dann, wenn, wie in einem Baukasten, die Rippenformen schon vorgegeben sind.

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V-Form nach Können

In Kenley ist Sämann mit einer extrem geringen V-Form geflogen, wie auch die Aufnahme hier zeigt, fast mit einem „geraden“ Brett als Tragfläche. Auch dies wurde sicherlich in weitem Ausmaß erst durch die Tragflächenschränkung ermöglicht. Geringe V-Form und insbesondere symmetrische Profile, die ja kein „Oben“ und „Unten“ haben, verbessern aber erklärlicherweise die Rückenflugeigenschaf-ten. Man sieht also, wie bei der Konstruktion verschiedene vorteilhafte Eigenschaften zusammengefasst wurden und sich ergänzen.

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Bei dem Baukastenmodell ist allerdings eine V-Stellung der Flächen von 7° vorgesehen, denn man wollte ja zahme Flugeigenschaften haben. „Zahm“ ist hier allerdings relativ gemeint, denn die Maschine, die bei der Vorführung flog, war bereits eines der Baukasten-Vormuster, mit dem ebenfalls äußerst interessanter Kunstflug gemacht wurde. Mit dieser V-Stellung und einer Einstellwinkeldifferenz von Tragfläche zu Höhenleitwerk von 1,5-2° sowie einer ganz leichten kopflastigen Trimmung kann die Caravelle ohne weiteres mit 2 oder 4 Kanälen auf „Käses Rundfahrten“ geschickt werden, ist also dann ein sehr braves und gezähmtes Vollblutreitpferd, das rücksichtsvoll zu seinem Reiter ist. Dass dies tatsächlich möglich ist und nicht etwa nur ein Werbeargument, haben wir selbst gesehen, denn man hat probeweise die vollausgerüstete Maschine eben eine Zeitlang nur mit 2 Kanälen geflogen. Für diese zahmste Einstellung reicht bei der genannten Einstellwinkeldifferenz ein 3,5 ccm Taifun Bison vollkommen aus, er genügt sogar für einfache Kunstflugfiguren. Ein rasantes Steigen möchte man in dieser Einstellung gar nicht haben, denn wenn man ein Mehrkanalmodell noch nicht vollständig beherrscht, ist es nur sehr angenehm, wenn es nicht wie eine Rakete nach oben schießt.

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Für die weitere Verwendung bei steigender Übung sind aber noch zwei andere Einstellungen genau festgelegt worden, nämlich für „Mehrkanalflug für Anfänger“ und „Mehrkanalflug für Experten“, wobei es natürlich jedem selbst überlassen bleibt, ob er sich als Experte fühlt. Am besten ist es natürlich auch bei der Caravelle, wenn man zuerst vorsichtig ausprobiert, ob dazu Berechtigung besteht, denn bekanntlich gibt es ja mehr „Experten“ als Könner. Für die anderen Einstellungen ist ein 8,16 ccm-Motor (Graupner nennt natürlich seinen 0S-Max 49 RC, doch ist selbstverständlich jedes andere Triebwerk vergleichbarer Leistung genau so gut brauchbar), vorgesehen, bei kleinerem Einstellwinkel und weiter zurückliegendem Schwerpunkt.

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Angeschärft

Schließlich ist dann die Maschine ein Klo, der Motor kommt mit 0 Grad Sturz und 0 Grad Seitenzug in die Rumpfspitze, die V-Form wird auf 2% verringert und die Einstellwinkeldifferenz bis auf 0 Grad. Das ist dann etwas für Leute vom Kaliber von Sämann selbst. Über die einzelnen Daten der Einstellung unterrichtet die beigegebene Tabelle.

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Ich weiß zwar nicht, wie viel Maschinen gebaut wurden, bis aus dem Kenley-Exemplar die endgültige Baukasten-Konstruktion geworden ist, — ich hörte, dass es 6 sein sollen. Im Laufe dieser Entwicklung hat man aber verschiedene Details abgeändert, über die man uns im Einzelnen unterrichtet hat. Sehr wesentlich ist, dass man schließlich die Querruder-klappen als durchgehende bewegliche Endleiste ausführte. Die Steuerwirkung dieser extrem langen Querruder ist dieselbe wie die von Ruderklappen; sie bringen aber sehr viele bautechnische Vorteile.

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Graupner Neuheitenprospekt 1963 (Seite 1)

Das Holzstückelwerk für den Bau des Einschnitts am Flügel und der Klappe fällt weg, das Endleisten-Ruder ist nur ein schmaler und leicht herzustellender Streifen. Dann aber ist der Aufwand an Ruderhebeln, Schubstangen usw. erheblich geringer. Von der Rudermaschine in der Mitte der ungeteilten Tragfläche führt jeweils nur noch eine kurze Schubstange, zum großen Teil außerhalb der Fläche, nach hinten ohne Umlenkung an einen Hebel auf der Achse der Querruderend-leiste. Jeder nicht mehr zugängliche Mechanismus in der fertigen Fläche fällt weg. Querruder als durchgehende bewegliche Endleiste ausgeführt, setzen sich ohnehin immer mehr durch, eben wegen der einfacheren Konstruktion.

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Graupner Neuheitenprospekt 1963 (Seite 2)

Genau wie beim Kenley-Modell hat die Fläche ein Profil NACA 2415 modifiziert, also mit leicht abwärts gewölbter Unterseite an der Wurzel, welches in ein symmetrisches Profil am Flügelende übergeht.

Nach der neuen Baumethode muss lediglich der Flügel als durchgehendes Trapez aufgebaut werden, an dem dann anschließend die Querruder-Endleisten befestigt werden.

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Weiterhin hat man sehr viel Mühe für die Konstruktion des Bugradbeins aufgewendet, das noch bei jeder Landung verbogen war. Es wird jetzt ein Federbein verwendet, das aus zwei gewickelten starken Stahldrähten besteht und beim Landen nach hinten federt und sich nicht mehr verbiegt. Es ist an einem besonderen Spant aufgehängt.

Bei den Triebwerksversuchen wurde die Caravelle bei 3000 g (mehr als normalerweise bei einer nicht für Kunstflug gedachten Ausführung notwendig) mit den 3,5-Taifun-Bison ausgeflogen. Sie hatte dabei ein absolut befriedigendes Steigvermögen. Dass mit diesem relativ schwachen Triebwerk das Modell noch wesentlich einfacher und unkritischer zu fliegen ist als mit einem ausgesprochenen Kraftmeier vornedran, bedarf keiner besonderen Betonung, wenn auch unserer Meinung nach kaum zu vermeiden sein wird, dass viele dennoch wegen des „guten Tons“ große Motoren dranhängen werden, um sich damit in Schwierigkeiten zu bringen.

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Die EWD-Waage

Bei raschen Modellen ist verständlicherweise eine genaue Einstellwinkeldifferenz zwischen Tragflügel und Höhenleitwerk sehr wichtig, denn bei einer starken Anströmung wirkt sich auch ein leichter Einstellfehler sehr viel kräftiger aus als bei einem langsamen Modell. Bei Profilen mit gewölbter Unterseite ist allerdings die EWD nicht so einfach festzustellen wie z. B. bei einem Clark-Y. Man hat deshalb ein sogenanntes „Einstellwinkel-Differenzpendel“ entwickelt, mit dessen Hilfe man die EWD genau überprüfen kann. Im Grunde ist dieses Pendel nichts anderes als eine Hohlform, die genau unter die Tragflächenunterseite passt, unter ihr mit Gummi befestigt wird und an der eine Schnur mit einem Gewichtchen hängt, die über eine Scala läuft, die in Winkelgraden geeicht ist, Für diese Eichung kann man jeden normalen Winkelmesser benutzen. Ein gleichartiges Pendel wird unter das Höhenleitwerk an der Wurzel geschnallt. Die Differenz der Winkelgradanzeige, die man an den beiden Skalen abliest, ist dann gleich der Einstellwinkeldifferenz.

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Es dürfte sich lohnen, zur Überprüfung einer solchen Einstellung zwei oder auch drei Stunden zu Hause zu verwenden, ehe man ein Mehrkanalmodell startet. Wenn man dies wirklich mit Sorgfalt macht, hat man eine absolute Garantie, dass man das Modell im Gelände dann auf den Boden stellen und wegstarten kann, ohne noch mit besonderen Überraschungen rechnen zu müssen. Handstart ist auch bei der Caravelle nur mehr schlecht möglich. Das Verfahren mit der Einstellwinkeldifferenz-Pendelwaage ist an verschiedenen Modellen von Sämann selbst und bei Graupner eingehend erprobt worden. Auf diese Weise getrimmte Modelle wurden dann ohne weitere Vorversuche direkt zum Kunstflug gestartet.

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Die Caravelle ist ein ganz besonderer Vogel, dessen Konstruktion bestimmt Einwirkungen auf die Gesamtentwicklung der raschen Mehrkanalmodelle haben wird. Uns als Modellzeitschrift kommt es natürlich nicht darauf an, dass möglichst viele Baukästen verkauft werden, sondern dass es überhaupt solche Modelle gibt und vielen zur Verfügung stehen.

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Die Caravelle sollte aber dennoch kein Modell werden, das — bitte entschuldigen Sie, lieber Leser — Hinz und Kunz fliegen will, wobei ich mich selbst zu den Kunzen rechne — sondern von Modellfliegern, denen es ernst mit der Sache ist und die die Eigenschaften einer solchen Konstruktion zu nutzen wissen.

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Ich glaube, dass sowohl Sämann, der noch vor 2 Jahren sehr zurückhaltend war, Mehrkanal-Konstruktionen bekanntzugeben, weil er nicht wollte, dass Unerfahrene damit Schiffsbruch leiden, wie auch die Graupner-Leute gleich denken. Sie haben sich nämlich entschlossen, dem Kasten keine gestanzten Teile beizugeben, sondern nur die Formen aufzudrucken, 30 dass die Genauigkeit des Baus nicht mehr von der Exaktheit einer Stammmaschine, sondern von der des Modellbauers bestimmt wird. Es liegt also ganz bei ihm, inwieweit er die konstruktiven Möglichkeiten wirklich ausnutzt.

Technische Daten:

Spannweite: 1,80 Meter
Rumpflänge: 1,23 Meter
Fluggewicht: 2500 Gramm
Motorisierung: 10cc Nitromotor, Elektromotor

Text: Dieter Heck
Fotos: Burkhard Erdlenbruch, Peter Uhlig, Gustav Sämann, Jörg Stümpflen, Hans Graupner

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